Tipps und Handlungsempfehlungen vom Kinderschutzbund

Cybergrooming, die Anbahnung sexualisierter Kontakte im Internet, ist eine ernsthafte Bedrohung für Kinder und Jugendliche. Wenn ein Kind den Mut aufbringt, darüber zu sprechen, was ihm im Internet widerfahren ist, muss dies unbedingt ernst genommen werden. Doch was sollten Eltern und Erwachsene tun? 

In diesem Interview mit den Expertinnen Elena Frense, Fachreferentin für Medien und Digitales im Kinderschutzbund Bundesverband und Valentina Lauer, Juristin und Projektleitung “Safe im Recht” im Kinderschutzbund Bezirksverband Frankfurt, erfahren Sie, wie Sie betroffenen Kindern Halt geben, rechtlich richtig vorgehen und langfristig ihr Sicherheitsgefühl stärken können. 

Wie sollten Eltern und Erwachsene reagieren, wenn ein Kind von Cybergrooming berichtet?

Lauer: Zunächst gilt es Ruhe zu bewahren und Sicherheit zu vermitteln. Die betroffenen Kinder brauchen Anerkennung und Bestärkung dafür, dass sie sich geöffnet haben. Das ist für Kinder häufig ein schwieriger Schritt und sowohl die Belastung als auch der Mut, sich Hilfe zu suchen, sollten Anerkennung finden. Das Wichtigste ist aber den Kindern klarzumachen, dass sie absolut nichts falsch gemacht haben und keinerlei Schuld daran tragen, was ihnen passiert ist. Sie wurden manipuliert oder unter Druck gesetzt und sind Opfer einer Straftat geworden. Kinder fühlen sich häufig schuldig, wenn sie zum Beispiel ein Foto von sich verschickt haben und Erwachsene müssen aufpassen, dass sie dieses Gefühl nicht noch verstärken.

Frense: Zudem sollte dem Kind vermittelt werden, dass es damit nicht allein ist und es Möglichkeiten gibt, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Das können zum Beispiel Beratungsstellen sein, aber auch Telefon- oder Onlineberatungen. Weiterhin sollte mit dem Kind die Möglichkeit besprochen werden, den Fall zur Anzeige zu bringen, sofern es das möchte. Dafür können Betroffene entweder direkt zur Polizei gehen oder den Fall online melden. Das geht z.B. auch über das Meldeformular auf https://www.fragzebra.de/cybergrooming.

Welche emotionalen und rechtlichen Folgen kann ein Cybergrooming-Vorfall für betroffene Kinder und Eltern haben?

Lauer: Betroffene Kinder sind in der Regel psychisch sehr belastet - Cybergrooming ist eine Form der sexualisierten Gewalt, deren Aufarbeitung häufig professionelle Begleitung braucht. Auch Eltern machen sich natürlich Sorgen und vielleicht auch Vorwürfe und brauchen Unterstützung und Stärkung. Rechtlich ist Cybergrooming eine Straftat und sollte zur Anzeige gebracht werden, sofern das Kind hierzu bereit ist. Auch hierzu können sich Betroffene und ihre Eltern rechtliche Beratung holen, um zu entscheiden, wie sie vorgehen möchten. Darüber reden hilft! Auch dabei, solche Vorfälle sichtbar zu machen und sich nicht stigmatisiert zu fühlen.

Frense: Den Punkt, dass erst eine rechtliche, aber auch psychosoziale Beratung stattfinden sollte, bevor Anzeige erstattet wird, möchte ich noch einmal unterstreichen! Dies gilt grundsätzlich, wenn Betroffene sexualisierter, aber auch anderer Gewaltformen, zur Polizei gehen. Denn ist die Anzeige erst einmal erstattet, beginnt ein oftmals langwieriger Prozess, der unter Umständen retraumatisierend auf die Betroffenen wirken kann. Daher plädieren wir stets dafür, diesen Schritt stets nur unter sorgfältiger Abwägung des Kindeswohls zu gehen. In Bezug auf Cybergrooming ist jedoch festzuhalten, dass die Aufklärungs- und Verurteilungsquote im Vergleich zu anderen Delikten sexualisierter Gewalt sehr hoch ist. Vor diesem Hintergrund lohnt sich eine Anzeige in den meisten Fällen.

Welche Unterstützungsmöglichkeiten bietet der Kinderschutzbund für Betroffene von Cybergrooming und Angehörige?

Frense: Das Projekt “Safe im Recht” des Kinderschutzbundes Frankfurt bietet Beratung zu digitaler Gewalt und Jugendrecht an. Über WhatsApp oder den Hilfechat auf der Website des Projekts (https://www.safe-im-recht.de/) können Kinder und Jugendliche Montag, Mittwoch und Freitag von 11–13 und 18–20 Uhr von Anwält:innen, Jurist:innen, Jurastudent:innen und Psycholog:innen beraten werden. 

Zudem können Betroffene natürlich den Kinderschutzbund vor Ort kontaktieren, der entweder selbst beraten kann oder hilfreiche Adressen vor Ort vermittelt.

Welche Therapieformen sind für Kinder geeignet, die emotional unter Cybergrooming leiden?

Frense: Da Cybergrooming eine Form von sexualisierter Gewalt darstellt, bieten sich grundsätzlich alle Therapieformen an, die sich allgemein im Kontext sexualisierter Gewalt bewährt haben. Welche Therapieform im Einzelnen für ein betroffenes Kind sinnvoll ist, ist jedoch sehr individuell und kann nicht pauschal beantwortet werden.

Sollten Eltern nach einem Cybergrooming-Vorfall die Internetnutzung ihrer Kinder einschränken? Wie kann das ohne zusätzliche Verunsicherung geschehen?

Frense: Die Internet- oder allgemein Mediennutzung von Kindern einzuschränken, nachdem sie dort schwierige Erfahrungen gemacht haben, ist oft ein erster Impuls von Eltern, im Glauben, ihr Kind darüber schützen zu können. Dies ist nachvollziehbar, jedoch wird dies von den Kindern meist als Bestrafung aufgefasst, sodass wir als Kinderschutzbund davon abraten. Denn das Resultat ist, dass Kinder aus Angst, ihnen wird das Handy weggenommen oder ihre Mediennutzung wird eingeschränkt, nicht mehr mit den Eltern über Cybergrooming oder auch andere belastende Erfahrungen sprechen. Genau das wollen wir verhindern, denn das offene Gespräch zwischen Eltern und Kindern stellt die zentrale Grundlage für einen wirksamen Schutz dar. 

Sollten Eltern nach einem Cybergrooming-Vorfall die Internetnutzung ihrer Kinder einschränken, und wie kann das ohne zusätzliche Verunsicherung geschehen?

Frense: Die Internet- oder allgemein Mediennutzung von Kindern einzuschränken, nachdem sie dort schwierige Erfahrungen gemacht haben, ist oft ein erster Impuls von Eltern, im Glauben, ihr Kind darüber schützen zu können. Dies ist nachvollziehbar, jedoch wird dies von den Kindern meist als Bestrafung aufgefasst, sodass wir als Kinderschutzbund davon abraten. Denn das Resultat ist, dass Kinder aus Angst, ihnen wird das Handy weggenommen oder ihre Mediennutzung wird eingeschränkt, nicht mehr mit den Eltern über Cybergrooming oder auch andere belastende Erfahrungen sprechen. Genau das wollen wir verhindern, denn das offene Gespräch zwischen Eltern und Kindern stellt die zentrale Grundlage für einen wirksamen Schutz dar. 

Lauer: Es kann aber durchaus angeraten sein, gemeinsam entsprechende Account-Einstellungen vorzunehmen und zu vereinbaren, wie sich das Kind in Zukunft sicher im Netz bewegen kann und was es tun könnte, wenn es sich unwohl fühlt.

Ist es sinnvoll, Schulen oder Betreuungseinrichtungen über einen Cybergrooming-Vorfall zu informieren? Wie sollten Eltern dabei vorgehen?

Lauer: Sinnvoll ist dies auf jeden Fall. Es braucht noch mehr Sichtbarkeit und Bewusstsein darüber, dass Cybergrooming ein tatsächliches Risiko für Kinder im Netz ist, gleichzeitig ist es aus kriminalistischer Perspektive wichtig, die Fälle bekannt zu machen und auch zur Anzeige zu bringen, um es den Tätern zu erschweren. Dies gilt aber immer nur dann, wenn es für das Kind tragbar und angemessen ist, diese Informationen zu teilen. Hier sollte nie über den Kopf des Kindes hinweg gehandelt werden, die betroffenen Kinder dürfen nicht überfordert werden und sind auch nicht verantwortlich dafür, andere potenzielle Betroffene zu schützen. Es ist Teil ihres Persönlichkeitsrechts zu entscheiden, mit wem sie diese intimen Informationen über sich teilen möchten. Andererseits kann es Kinder auch stärken, offen damit umzugehen und Unterstützung zu erfahren. Die Entscheidungen sind hier sehr individuell im Sinne und zum Schutz des Kindes zu treffen.

Welche Ansätze und Techniken helfen, das Sicherheits- und Selbstwertgefühl eines Kindes nach einem Cybergrooming-Vorfall wieder aufzubauen?

Lauer: Die Grundlage bildet auf jeden Fall die Sicherheit, dass Kinder bei Erwachsenen, die sie um Hilfe bitten, diese auch erhalten und ihnen die Scham genommen wird. Weiter ist Begleitung im Netz wichtig und ein offener Austausch darüber, was die Kinder dort erleben und vor allem auch, was sie sich unter einer guten und sicheren Internetnutzung vorstellen.

Frense: Grundsätzlich haben das soziale Umfeld, die Verfügbarkeit von Unterstützungsmöglichkeiten, aber auch individuell-psychische Faktoren starken Einfluss auf die psychischen Konsequenzen, die ein Cybergrooming-Vorfall für ein Kind haben kann. Man muss also zunächst einmal schauen, welche Resilienzfaktoren gegeben sind und kann auf der Basis individuell schauen, was das betroffene Kind braucht. 

Und natürlich ist es auch wichtig, dem Kind Skills an die Hand zu geben, zukünftig Cybergrooming frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Da ist neben den Eltern auch die Schule gefragt!

Das Internet-ABC dankt Frau Frense und Frau Lauer für das Gespräch.