Was tun nach einem Cybergrooming-Übergriff?
Während das Internet unzählige Möglichkeiten bietet, birgt es auch erhebliche Gefahren. Besonders Kinder und Jugendliche sind anfällig für sexuelle Übergriffe im Netz. Eine Umfrage der Landesanstalt für Medien NRW aus dem Jahr 2024 belegt: 16 % der befragten Kinder zwischen 8 und 17 Jahren wurden bereits von Erwachsenen zu Treffen aufgefordert.
Joachim Schneider, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, erklärt, wie Eltern in solchen Situationen reagieren sollten und welche Schritte sie einleiten können, um ihre Kinder zu schützen.
Wie sollten Erwachsene reagieren, wenn sich ein Kind ihnen anvertraut?
Hören Sie den Kindern zu. Wenn ein Kind sich dazu entscheidet, etwas Unangenehmes anzusprechen, ist es ein besonderer Vertrauensbeweis und sollte sehr ernst genommen werden. Auch wenn Sie eventuell geschockt darüber sind, was das Kind berichtet, geben Sie ihm keine Mitschuld. Schuld hat der Täter.
Nach welchen Kriterien sollten Eltern entscheiden, ob sie eine Strafanzeige stellen?
Es ist wichtig, auf jeden Fall Anzeige zu erstatten. Ohne Kenntnis von einer Straftat zu haben, können Polizei und Staatsanwaltschaft nicht aktiv werden. Die Tat kann nicht aufgeklärt werden und Täter unentdeckt und unbestraft bleiben. Sie können weiterhin Straftaten begehen. Erstatten Sie Anzeige, wenn Sie oder Ihr Kind von einer Straftat betroffen wurden. Sie schützen dadurch sich und andere. Und das Wichtigste, die Polizei kann durch ihre Arbeit noch anhaltenden Übergriffe und Gewalt beenden und weiteres Leid von Kindern verhindern.
Welche Auswirkungen kann eine Strafanzeige für Eltern und Kinder haben?
Eine Strafanzeige kann belastend sein, da sie eine Auseinandersetzung mit dem Erlebten und den Tätern erfordert.
Als Betroffene selbst tätig werden hilft oft, um aus der Opferrolle heraustreten zu können. Für viele ist dieser Schritt emotional enorm wichtig, da sich der Fokus dann auf den Täter richtet. Danach fällt es oft leichter, sich um die eigene Heilung zu kümmern.
Im besten Fall wird der Täter gefasst und kann keine weiteren Annäherungsversuche unternehmen. Dadurch wird nicht nur das eigene Leid, sondern möglicherweise auch das weiterer Betroffener beendet und für die Zukunft verhindert.
Was bedeutet die Erstattung einer Strafanzeige und die darauffolgenden polizeilichen Ermittlungen für Eltern und Kind?
Polizeiliche Ermittlungen bedeuten Interviews, Beweisaufnahme und mögliche Gerichtstermine. Für solche Verfahren gibt es speziell geschulte Polizeibeamte und erforderlichenfalls besondere Rahmenbedingungen wie etwa kindgerechte Vernehmungszimmer.
Ebenfalls sind, in Abhängigkeit zum Einzelfall, Videovernehmungen möglich, die dem Kind weitere (Gerichts-)Termine ersparen.
Sprechen Sie dies am besten konkret mit den Polizeibeamten ab, die Ihre Anzeige aufnehmen.
Sofern Sie Sorge haben, dass die Belastungen für Ihr Kind zu groß sind, kann es auch angezeigt sein, sich professionell begleiten zu lassen. Über die Möglichkeiten einer psychosozialen Prozessbegleitung informiert Sie zunächst ebenfalls die Polizei und vermittelt Ihnen entsprechende Ansprechstellen. Die Internetseite odabs.org/index.html soll Ihnen dabei helfen, einen Überblick über Angebote zu erlangen. Sie können durch eine leichte Filterführung die unterschiedlichen Angebote in Ihrer Nähe ermitteln.
Kann ich von der Polizei eine Entscheidungshilfe bekommen oder bin ich beim Gang zur Polizei zur Strafanzeige verpflichtet?
Sobald die Polizei von konkreten Straftaten erfährt, ist sie gesetzlich verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen.
Es gibt in Deutschland Hilfs- und Unterstützungsangebote verschiedenster Art, die für Sie da sind, nachdem Sie oder jemand aus Ihrem Umfeld von einer Straftat betroffen worden ist:
- save-me-online.de: digitale Beratungsstelle für Jugendliche, erreichbar über E-Mail oder das Hilfetelefon.
- Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (kostenfrei und anonym): 0800 22 55 530.
- juuuport.de/hilfe: digitale Beratungsstelle für Jugendliche über einen Chat.
- Nummer gegen Kummer: Die Nummer gegen Kummer gibt es für Kinder und Jugendliche unter der Nummer 116111 sowie für Eltern unter der Nummer 0800 111 0550.
- weisser-ring.de: Über die Webseite kann man, wenn man die eigene Postleitzahl oder den Wohnort angibt, die für einen zuständige Außenstelle in der Nähe finden. Dort erhalten Sie eine Erstberatung oder eine Weitervermittlung an entsprechende Fachberatungsstellen und die Klärung der Frage möglicher Kostenübernahmen bei einem Strafverfahren.
Allgemeine Informationen zu Cybergrooming, auch von der Polizei, findet man im Internet zum Beispiel hier:
- Polizeifuerdich.de: Die Seite der Polizei für Kinder und Jugendliche.
- klicksafe.de/cybergrooming: Hier finden Sie viele Informationen und weiterführende Links zum Thema Cybergrooming.
- schau-hin.info/cybergrooming: Hier gibt es Informationen, wie man Cybergrooming erkennt, was man dagegen unternehmen kann und wie Eltern ihre Kinder schützen können.
- handysektor.de/cyber-grooming: Hier findet sich alles Wichtige zum Thema Cybergrooming einfach erklärt.
Bis wann kann eine Straftat nach ihrem Eintritt angezeigt werden?
Wann die sogenannte Verjährungsfrist eintritt, ist von der jeweiligen Straftat abhängig. Sie reicht von 3 bis 20 Jahren.
An welche Stellen können Eltern eine Strafanzeige erstatten?
Sie können bei jeder Polizeidienststelle Anzeige erstatten.
Grundsätzlich ist das auch über die sogenannten Online-Wachen möglich. Allerdings gibt es je nach Bundesland Unterschiede, welche Sachverhalte online angezeigt werden können. Sie erhalten allerdings in jedem Fall Informationen, was dann konkret zu tun ist. Die Strafanzeige ist für Sie kostenlos.
- Zur Übersicht der Onlinewachen der Länder: portal.onlinewache.polizei.de/de
- Zu den Erklärvideos für Betroffene: polizei-beratung.de/infos-fuer-betroffene
Kann eine einmal erstattete Strafanzeige zurückgezogen werden?
Eine Strafanzeige können Sie nicht zurücknehmen.
Muss man Kinder zur Polizei mitnehmen?
Kinder müssen lediglich für die Zeugenaussage anwesend sein. Dieser Termin wird vorher mit den Eltern geplant und eingehend besprochen. Es gibt die Möglichkeit einer audiovisuellen Vernehmung. Dafür gibt es spezielle Kindervernehmungszimmer. In diesem geschützten Raum, der mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet ist, finden die Zeugenaussagen statt.
Wie können Eltern ihre Kinder beim Besuch der Polizei optimal unterstützen und schützen?
Eine besondere Form der Unterstützung stellt die psychosoziale Prozessbegleitung dar. Psychosoziale Prozessbegleitung umfasst die Informationsvermittlung sowie die qualifizierte Betreuung und Unterstützung durch professionelle Fachkräfte im gesamten Strafverfahren. Hierzu gehören:
- Begleitung zu allen Vernehmungen,
- Unterstützung bei Antragsstellungen,
- Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung,
- Begleitung zur Gerichtsverhandlung und zur Urteilsverkündung,
- Nachbereitung des Strafverfahrens sowie
- Vermittlung von therapeutischer Unterstützung.
Das für die Betroffenen kostenfreie Angebot (siehe § 406g StPO) richtet sich an Opfer von schwerwiegenden Straftaten mit einem besonderen Schutzbedürfnis, unter anderem z. B. an Kinder und Jugendliche.
- Zur psychosozialen Prozessbegleitung: odabs.org/psychosoziale-prozessbegleitung.html
Wie gestaltet sich der Ablauf eines Strafverfahrens?
Hier finden Sie eine gute Übersicht zum Ablauf eines Strafverfahrens (Anmerkung der Redaktion: Zum Vergrößern bitte anklicken):
Wie sollten Eltern mit Tätern von Cybergrooming umgehen und welche präventiven Maßnahmen sollten sie ergreifen?
Den Eltern sollte bewusst sein, dass das Kind den Täter als Freund oder Freundin wahrgenommen hat und dies auch nach einer Anzeige womöglich noch so wahrnimmt. Der Kontakt sollte auf jeden Fall digital blockiert werden. Ob und welche präventiven Maßnahmen erforderlich und sinnvoll sein könnten, ist vom Einzelfall abhängig. Auch hierüber berät ggf. die Polizei oder eine Beratungsstelle.
Sollten Eltern direkt Kontakt mit dem Täter aufnehmen?
Das sollten Eltern der Polizei überlassen.
Das Internet-ABC dankt Herrn Schneider für das Gespräch.